An einem Tag wie jeder andere in der Quelle. Nachdem ich mich durch meine Morgenkaffee Umgebungsvariablen von „Südseestrand“ bis „Rocky Mountainhütte“ durchgezappt und mich dann für „New York Loft Dachgarten im Frühling mit Blick auf das Chrysler Building“ entschieden hatte, überflog ich die üblichen Tagesmeldungen, die „Blechbüchse“, mein Archivcomputer über den Holoscreen schickte.
Ein Aufstand gegen die Erhöhung der Waffensteuer im Finmark Simulacron, Explosionen am Babylon Stock Market nach der Einführung der neuen Luxonium Konverterklassen durch die Sempai.. Verschollener Executive…30 Tore innerhalb von 20 Minuten im letzten Flashgate Match der Draconis Dragoneggs gegen die Doro Manbuyers… Vulkanausbruch in Hyboria….
Halt. Zurück. Wie war das? Vulkanausbruch?
„Blechbüchse?“
„Ja Fleischklops?“
Ich schnippte mit dem Finger und holte mir das Interface meines Archivars auf den Schirm.
„Du sagst noch einmal Fleischklops zu mir und ich verarbeite dich zu Pixelbrei.“
„Aye Commander.“
Ich tippte eine Reihe von Zahlencodes ein.
„Blechbüchse. Was kannst du mir über Vulkanausbrüche sagen?“
„Dazu müsste es erstmal Vulkane geben.“
„Es gibt keine Vulkane im Licht Universum?“
„Nein, wozu sollten sie auch nutze sein? Ein Simulacron schwimmt nicht auf einem flüssigen Kern, so wie die Kontinente der Carbonplaneten.“
„Und wie erklärt sich dann diese Meldung? Vulkanausbruch in Hyboria?“
„Gar nicht. Das muss ein Hoax sein.“
„Ein Hoax in einem Universum, welches nichtmal wüsste, was da gehoaxt wird?“
„Ich forsche nach, Commander“
„Ich bitte darum“.
Einige Kaffees und zwei Prisen CCE später, färbte sich das Symbol des Archivars lila. Das bedeutete stets: Auftrag ausgeführt, aber ohne Ergebnis.
„Es gibt also keine Erklärung für diese Meldung? Woher kam sie?“
„Selbst das ist seltsam, Commander. Die Meldung kam offenbar von Hyboria selbst, eine Tiefenkomm Ausstrahlung, wie es sie dort eigentlich gar nicht geben dürfte. Es ist ein Exilsimulacron, Walzentyp, 1.3 Millionen qkm.“
„Eins Komma Drei Millionen?? Bei der Quelle, das ist riesig! Wann habe ich je so ein gigantisches Simulacron erschaffen und wozu? Und dann noch walzenförmig!“
„Eines der Geheimnisse des Hüters, Laurina. Die du ja leider zum grössten Teil noch nicht kennst obwohl du die Hüterin bist…“
„Spar dir deine Häme, Blechkumpel. Berechne einen Recall nach Hyboria. Aber hurtig!“
„Geht klar, Chef.“
—
Während ich die Details der Exkursion nach Hyboria durchging, überlegte ich, wen ich mitnehmen sollte. Mein Executive Shara Whitfield war natürlich klar, auch wenn sie eigentlich bis zum Anschlag ausgelastet war. Aber Sie brauchte mal einen Tapetenwechsel. Colonel Loon war viel zu sehr mit der Rekrutenausbildung beschäftigt, sie da jetzt rauszureissen hätte nur ihre Verstocktheit herausgefordert, ausserdem tat sie sich mit neuen Umgebungen schwer. Sich in Exilsimulacren an die Regeln zu halten, war nicht jedermanns Sache. Idril Amat war seit kurzem Grandmaster der Aeternus, sie schied also leider völlig aus. Daher war klar, dass ich mich mal wieder an Lieutenant Yuffie Hyun wenden würde, denn sie war nicht nur eine ausgezeichnete Leibwache, sondern überdies sehr erfahren im Umgang mit archaischen Kulturen.
Ich fand sie, wie so oft, beim Waffenreinigen im Wintergarten unseres Towers. Ich liess mich auf einen Stuhl ihr gegenüber fallen und winkte ab, als sie salutieren wollte. „Mach nur weiter.“
Ich beobachtete sie eine Weile, wie sie geschickt einen der neuen Sempai Blaster auseinander nahm, den winzigen hochkomprimierten CCE Kern in die dafür vorgesehene Hoverschale legte und dann die Ist-Werte mit den Soll-Werten auf ihrem tragbaren Scanner verglich.
„Schönes Spielzeug,“ sagte ich und deutete auf den Blaster. Yuffie nickte. „Ja, die Sempai haben es geschafft, den Kern nochmal um 30% zu verkleinern. Ich warte jetzt auf die ersten Dual Subs mit Triple Core.“
„Für deinen nächsten Einsatz wirst du allerdings mit anderen Waffentypen kämpfen müssen.“
Yuffie sah mich fragend an. „Mit Intuitionsgesteuerten Schnellfeuer Granatwerfern?“
„Nö.“ Ich schüttelte den Kopf.
„Hm. Mit Expansionsgeschossen aus dreifach verstärktem Mantelstahl?“
„Neien.“
Yuffie grübelte.
„Ha! Ich habs: ich soll mit dieser neuen Spezial Armbrust losziehen. Die mit der Zielvorrichtung und Verfolgungsautomatik mit Explosivbolzen!“
„Dreimal falsch, ich zeigs dir.“
Ich schnippte ein mal in die Luft und hatte flugs ein archaisch anmutendes Gerät in der Hand. Ich wuchtete das Teil vor Yuffie auf den Tisch.
„Eine… Streitaxt?“, brachte Yuffie würgend hervor.
Ich nickte. „Präzise. Das ist eine Streitaxt. Mit dreifach gehärteter Stahlklinge und einem fünffach gehobelten Holzgriff.“
Yuffie nahm das Ungetüm ungläubig in die Hand.
„Da fall ich ja um, wenn ich das Teil schwinge!“
„Na wollen wir’s nicht hoffen“, erwiderte ich und erhob mich von meinem Stuhl.
„Einsatzbesprechung in 30 Minuten. Wir treffen uns beim Exile Port.“
„Wohin gehts denn?“
Ich marschierte bereits Richtung Tür und drehte mich kurz noch mal um. „Hyboria“.
Damit liess ich sie allein. Eine Weile hörte ich sie noch murmeln.
„Hyboria… was zum Henker ist Hyboria?“
—
24 Stunden später…
Das erste, was ich hörte, war das Rauschen von Wellen, das Schwappen von Wasser an einen Strand, das Knistern der Sandkörner wenn sie ins Meer zurückgesaugt wurden. Ich hob meinen Kopf und spuckte Sand. Ich drehte den Kopf. Es tat höllisch weh. Irgendwas hatte meinen Schädel als Testobjekt für eine neue Form des Kegelns benutzt. Wo war Shara? Wo war Yuffie? Vor wenigen Stunden hatten sie noch mit mir den Port betreten. Ziel war der Laderaum einer altertümlichen Galeere mit Ziel auf Tortage, einer berüchtigten Piratensiedlung dieses Exilsimulacrons. Und diese Galeere war offensichtlich gesunken…na toll. Das Wasser hier schien aber kein CCE Träger zu sein, denn ich hatte keine dieser typischen Zersetzungserscheinungen auf der Haut. Schnell scannte ich Sharas und Yuffies Core in der Quelle: sie waren intakt. Aber ihren Aufenthaltsort konnte ich nicht eingrenzen. Sie mussten irgendwo hier am Strand herumliegen, genau wie ich.
Das nächste, was ich hörte, waren Schritte, die sich langsam näherten. Alarmiert versuchte ich, auf die Beine zu kommen. Dabei stellte ich fest, dass ich fast nackt war. Ich trug nichts, außer einem viel zu knappen violetten Tanga, der Rest lag bloß. Der ganze Rest… Ich versuchte gar nicht erst, meine Brüste zu bedecken, als der betagte dunkelhäutige Riese näherkam. Er wirkte nicht bedrohlich. Er blieb vor mir stehen und sah auf mich herunter. Lächelnd überreichte er mir ein großes Ruderblatt, welches von ebendieser gesunkenen Galeere zu stammen schien. Ich nahm das Ruderblatt, denn ich wusste im Moment nichts anderes zu tun, wegschmeißen konnte ich es immer noch, doch im Moment erschien mir das unhöflich. Geschenke von Eingeborenen soll man annehmen.
Er sprach zu mir, doch ich verstand kein Wort. Es war eine alte, gutturale Sprache, die kein einziges, mir bekanntes Idiom enthielt. Ich nestelte an meinem Ohr und ertastete den kleinen Knubbel des implantierten Translators, der wohl im Salzwasser seinen Geist aufgegeben hatte. Ich drückte darauf herum und brachte das Ding damit wieder zum laufen.
„…..nackt und hilflos an den Strand gespült. Deine Herkunft hast du vergessen, doch dein Schicksal liegt klar vor dir“, hörte ich ihn nun sagen.
„Wo bin ich? Und wer bist du?“ brachte ich hervor.
Der Mann blickte mitleidig auf mich herab.
„Du bist an der Westküste. Hier jenseits des Dschungels liegt Tortage, eine Stadt voller Piraten und Schergen des Tyrannen. Du wirst deinen Weg finden müssen. Wenn du Tortage erreichst, geh zu Nadini und sag ihr Kalanthes schickt dich.“
„Moment mal! Woher willst du wissen, was ich hier soll und wer gibt dir das Recht, mir Aufträge zu erteilen?“
„Ich ahne, wer du bist,“ erwiderte er. „Du hast vergessen, woher du kamst, aber du wirst es herausfinden.“
Quatsch nich, Alter, dachte ich. Ich weiß sehr wohl, wer ich bin aber du hast keine blasse Ahnung. Das ist auch besser so.
„Wo sind meine Gefährten?“ fragte ich.
„Deine Gefährten? Ich weiß nichts, von deinen Gefährten. Du wirst deinen Weg zunächst allein gehen müssen.“
„Na super. Und wo ist meine gesamte Ausrüstung? Meine Kleider? Meine….“
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Du hast Schiffbruch erlitten. All dein Besitz liegt am Grund des Ozeans.“
„Aha. Eine tückische Welle hat mich also geschickt entkleidet wie ein gieriger Lover, schmeisst meine ganzen Hightech Spielereien ins Meer und ..“
Er schüttelte den Kopf und ging einfach weg.
„Heh!“ rief ich ihm hinterher, doch da war er schon im Dickicht des Dschungels verschwunden.
„Seltsamer Kauz,“ murmelte ich vor mich hin, als ich versuchte, mich zu sortieren. Doch da gab es nicht viel zu sortieren, es sei denn, man betrachtet das ungläubige Stieren auf einen knappen Tanga, der mir in die Gesäßbacken schnitt und das Schultern eines geborstenen Ruderblattes als „Sortieren“. Dann erst bemerkte ich die eisernen Armbänder. Sklavenarmbänder. Ich nestelte daran herum… wie zur Quelle waren die an meine Handgelenke gekommen? Und wie bekam ich die Mistdinger wieder ab?
Ich seufzte. Hier ist einiges megafaul, dachte ich. Aber ich krieg raus, was hier gespielt wird.
„Shaaaraaa! Yuuffiieee!“
Auf mein lautes Rufen hörte ich eine klägliche Antwort einer weiblichen Stimme aus dem nahen Dschungel. Ich rannte los. Der Sand brannte heiß unter meinen Fußsohlen. Als ich den Waldrand erreichte, erblickte ich eine junge, spärlich bekleidete Frau, angekettet an einen niedrigen Torbogen aus brüchigem Stein. Die Frauen hatten wohl nicht viel an in dieser Welt. Ich ging auf sie zu. Es war nicht Shara. Es war auch nicht Yuffie.
„Bitte hilf mir!“ Sie sah mich mit Verzweiflung an. „Ich bin Cetrelle. Diese Plünderer haben mich geschnappt und hier angekettet, die Götter wissen, was die mit mir vorhaben!“
Ich sah sie an. Ich konnte mir sehr gut denken, was „die“ mit ihr vorhatten.
„Hm. Und womit? Das sind Ketten.“
Sie deutete mit dem Kinn in Richtung Strand.
„Der Kerl da hinten hat die Schlüssel. Nimm sie ihm ab. Du bist doch bewaffnet.“
„Ich bin bewaffnet? Ach so, das ..DING hier..“ Ich blickte angewidert auf das Ruderblatt.
„Na gut, ich red mit dem Kerl, du wartest hier.“
Sie runzelte die Stirn.
„Du hast einen eigenartigen Humor….“
„Laurina,“ sagte ich. „Ich heisse Laurina.“
Ich fand den Plünderer tatsächlich am Strand. Er wühlte in einer Kiste Strandgut herum und schmiss durch die Gegend, was er nicht brauchen konnte. Ich näherte mich ihm vorsichtig. Sehr helle sah er nicht aus.
„Hallo,“ sprach ich ihn an. „Ich hätte gern die Schlüssel für die Handschellen. Mach keine Umstände und rück sie einfach raus, dann passiert dir nichts.“
Er sah mich unter dicken rotumränderten Augenwülsten an. Ein heiserer Laut entrang sich seiner Kehle, dann sprang er mich einfach an.
Ich riss instinktiv das Ruderblatt empor und ballerte ihm das Teil mit aller Wucht an den Kopf. Mit einem erstickten Laut drehte er sich um die eigene Achse und sank bewusstlos zu Boden. Das morsche Ruderblatt war dabei vollständig zu Bruch gegangen.
Ich schüttelte den Kopf und durchsuchte ihn. Ich fand den Schlüssel und einen .. Marlspiek in seiner Hand. Eine brutale Waffe, die aus einem Stück Holz und einem dicken rostigen Nagel bestand. Das hatte er mir in den Schädel treiben wollen? Dreckskerl. Ich nahm ihm beides ab und marschierte zurück zu Cetrelle.
Nachdem ich sie von ihren Ketten befreit hatte, fiel sie mir um den Hals. „Du hast was gut bei mir! Komm, ich zeige dir den Weg in die Stadt.“
„Ja. Aber vorher sag mir, ob noch mehr von diesen Plünderern hier rumschleichen.“
„Eine ganze Menge,“ antwortete sie. „Elendes Pack. Da drüben ist ihr Lager, wir sollten also da lang gehen.“ Sie deutete erst in die eine, dann in die andere Richtung.
„Nein,“ erwiderte ich. „Wir gehen erst zum Lager, ich brauch Klamotten. SO geh ich nicht in die Stadt. Wie viele sind es?“
Sie sah mich erschrocken an.
„Bist du verrückt? Das sind mindestens fünf bis sieben Männer, die sind gefährlich!“
Ich tätschelte ihre Wange.
„Nein, Kleines,“ sagte ich. „Nicht die sind gefährlich. ICH bin gefährlich.“
Das Lager bestand aus zwei Zelten, einem Unterstand und einem Lagerfeuer, um welches sich an die fünf der unfreundlichen Gesellen versammelt hatten. Es widerstrebte mir, einfach über sie herzufallen, daher versuchte ich es mit Diplomatie.
„Hallo Leute, ich bin hier, um mir von euch ein paar Klamotten auszuleihen… es liegt mir fern, euch zu verletzen aber..“ PLATSCH! Der erste fiel unter meinem Hieb.
„…und ich kann euch versichern, dass ich bei solchen Exkursionen jeden Core zwischenspeichere, um euch…“ KRAWUMM, zwei der Kerle bekamen einen Feger mit dem rostigen Nagel ins Gesicht. „…. später nach genauer Prüfung eures Scripts wieder in den Kreislauf zu entlassen…“ WUMM! Der letzte wurde von mir in den Dschungel gekickt.
Ich verbeugte mich leicht vor den verletzten und jammernden Gestalten.
„Ich hoffe, damit habe ich meine Position klargemacht und leihe mir jetzt ein paar Sachen aus.“
Cetrelle stand einige Meter abseits mit offenem Mund und schaute ungläubig drein
„Siehst du?“, sagte ich zu ihr „Mit Diplomatie kommt man doch gleich viel weiter.“
Der Dschungelpfad wandt sich durch Gestrüpp und hohe Gräser auf die Stadtmauern zu. Über den Baumkronen konnte ich ab und zu einen Blick auf die Türme der Befestigungsanlagen erhaschen. Immer wieder musste ich mich gegen bewaffnete Plünderer oder marodierende Banden wehren, zuweilen auch grässlich bemalte Eingeborene, die allesamt wenig Neigung zeigten, die Problematik auszudiskutieren. Daher setzte ich stets meine besten Argumente ein, die sich im Laufe des Marsches zu einem beachtlichen Arsenal von allerlei Hieb- und Stichwaffen erweiterten. Citrelle wurde zu meinem Packesel.
Die lumpigen Kleider, die ich meinen Waldkumpels abnahm, stanken erbärmlich und waren durch und durch verschmutzt, doch was blieb mir übrig. Immer noch besser als splitternackt in einer zivilisierten Stadt aufzutauchen. Ich machte mir um Yuffie und Shara nicht allzuviele Sorgen, sicher würde ich sie dort treffen. Aufgrund ihrer Ausbildung würden sicher auch sie in der Lage sein, sich auf ähnliche Weise „durchzuschlagen“.
„Erzähl mir ein wenig von dir, Cetrelle“, fragte ich meinen Schützling, während wir den Pfad entlangschritten. Die Geräusche des Dschungels hallten in meinen Ohren und raubten mir so langsam den Verstand. „Woher kommst du? Was machst du in Tortage?“
Sie biss sich auf die Lippen.
„Nun ja, ich bin…eine Hure. Ich überlebe, indem ich meinen Körper anbiete, was habe ich sonst für Möglichkeiten?“
Ich blieb stehen und blickte ihr in die blauen Augen.
„Macht dir das Spass? Oder tust du es widerwillig.“
Sie grinste.
„Na manchmal macht es auch Spass. Sicher verachtet Ihr mich jetzt.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, warum sollte ich eine selbständige Unternehmerin verachten? Ab jetzt nenn dich bitte nicht mehr Hure, das klingt so… abwertend. Du bist eine „Horizontale Gewerbetreibende“ klar?“
Sie grinste.
„Jaaa. Ich treibe es gewerblich. Das klingt gut! Danke Laurina!“
Ich ging lächelnd weiter. Hinter mir hörte ich sie murmeln.
„Gewerbetreibende Cetrelle…hmmm.. das klingt mal ganz anders…“
Schliesslich erreichten wir das Tor des ersten Befestigungsringes. Davor kauerte ein eher fettleibiger Hüne mit verschlagenem Gesicht und kratzte an den Scharnieren. Er hatte offensichtlich keinen Schlüssel. Ein mächtiger Säbel lag neben ihm auf den steinernen Stufen.
„Das ist Saddur, der Sklavenmeister,“ flüsterte Cetrelle und hielt mich am Ärmel fest. „Wir müssen irgendwie an ihm vorbei, ohne dass er uns bemerkt.“
„Ach was,“ antwortete ich.
Als ich auf ihn zuging erhob er sich zu seiner vollen Grösse und überragte mich damit um Haupteslänge. Er musterte mich abschätzend. Dann griff er langsam zu seinem Säbel.
„Wo kommst du denn her, schönes Kind? Bist du etwa aus dem Laderaum entkommen? Na, ich bring dich wieder an die Ketten, wo du hingehörst…“ Damit rannte er brüllend auf mich zu….
…und ging Sekunden später brüllend und blutend zu Boden.
Diesmal machte ich kein Federlesens. Ich riss ihm seinen Säbel aus der Hand und schlitzte ihm damit die Kehle auf. Es gibt Scripte, die sind nunmal verbugt. Löschen ist da die einzige Maßnahme.
„Okay, Gewerbetreibende Cetrelle,“ sagte ich. „Machen wir uns stadtfein.“
Das Tor war kein Problem für mich als ehemalige Diebin; warum Saddur solche Probleme damit gehabt hatte, sprach nicht für seine Intelligenz. Als Citrella und ich hindurchschritten blickten wir auf ein langgestrecktes Tal inmitten sanft ansteigender Hügel und schroffer Hänge. Was mir jedoch sofort ins Auge sprang, war der alles überragende Vulkankegel im Norden. Am Rand seines Kegels glühte es, Funken sprühten und ein ständiges leises Grollen wurde vom Wind zu uns herübergeweht. Magma strömte seine Hänge herab und floss in Kanälen durch das gesamte Tal, an dessen westlichem Ende sich die Stadt Tortage erhob.
„Potzblitz“, entfuhr es mir, als ich dieses Naturphänomen erblickte. „Sowas hab ich ja noch nie gesehen!“
„Was meint Ihr, Herrin?“ fragte Citrelle. „Den Vulkan?“ Sie seufzte. „Ja, er ist eine ständige Bedrohung. Noch vor wenigen Jahren war er kalt, doch seit diese Hexe nach Tortage kam, scheint er ständig ausbrechen zu wollen.“
„Hexe?“
„Ja. Mithrelle.“ Sie sah mich unschuldig an. „Noch nie von ihr gehört?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Du weisst doch, ich bin nicht von hier. Was tut sie hier?“
„Sie ist eine stygische Hexe, ein böses Weibstück!“ zischte Citrelle. „Sie gibt Strom die Macht der Unsterblichkeit. Ganz Tortage stöhnt unter der Knute dieses Tyrannen.“
Sie spuckte verächtlich aus.
Ich behielt meine Gedanken für mich. Das hier sah mir ganz nach einer Teufelei der Alter Generis aus. Wenn Mithrelle keine Adeptin von Athena war, wollte ich einen Frag fressen. Andererseits wussten die Alter Generis sehr genau, was geschehen würde, sollte ich sie der Einmischung in ein gesperrtes Simulacron überführen: es wäre ihr Ende. Athena würde niemals den Untergang ihres Ordens so leichtfertig riskieren. Ich hatte es also eher mit einer Abtrünnigen zu tun.
„Gehen wir.“
Der gewundene Pfad leitete uns über mehrere grob gezimmerte Holzbrücken, welche über die Magmakanäle führten. An einer blieb ich stehen, stieg die paar Meter zur Böschung hinab und näherte mich vorsichtig dem träge gleitenden Magmastrom. Er war ungewöhnlich kühl. Ich hätte erwartet, in so geringer Distanz von Magma vor Hitze kaum noch atmen zu können, doch diese glühend rote Flüssigkeit war kaum heißer als 90 Grad. Immer noch genug, um einen Menschen gar zu kochen, jedoch kaum zu vergleichen mit den Magmaströmen, die ich in meiner Heimat, der Carbonwelt, kennengelernt hatte. Und dann spürte ich es: CCE. Dieses Magma war dermaßen von CCE angereichert, dass es mir fast Fetzen von der Hand gebrannt hätte, wäre ich dafür empfindlich gewesen. Aber ein normaler Mental würde in dieser Brühe keine Hundertstel Sekunde überleben.
Wir passierten einen Tempel, dann eine Schmiede und standen schließlich vor dem Torwächter. Ich wollte flugs durch das Tor schreiten, als der Mann mich aufhielt.
„Ho Ho Ho! Ihr wollt doch nich‘ etwa einfach in die Stadt? Sklaven dürfen da nich‘ rein!“
Ich blieb stehen und blickte ihn an.
„Sklaven? Wer ist hier ein Sklave?“
Der Wächter deutete auf meine Armbänder.
„Wenn das keine Sklavenarmbänder sind, dann weiß ich nich‘ mehr was Sklavenarmbänder sind. Du bist sicher von einer Galeere entflohen. Du kommst hier nich‘ rein!
Ich hatte das Gefühl, vor einer Diskothek zu stehen. Doch hatte ich aufgrund meines Äusseren dort niemals Probleme gehabt, hereinzukommen. Citrelle versuchte, mir beizustehen.
„Sie ist keine Sklavin. Ja, sie war kurz gefangen, aber Ihr müsstet sie mal kämpfen sehen, Laranga! Mich hatten diese Plünderer auch kurz in ihrer Gewalt, aber Laurina hat mich befreit!“
Sie trat näher an ihn heran und sagte leise.
„Wir könnten sie für die Sache gewinnen, Laranga, lasst sie durch.“
Larange blickte finster. Ich sah seinem bärbeissigen Gesicht an, dass es in ihm arbeitete.
Dann schüttelte er entschieden den Kopf.
„Mit den Armbändern kann ich sie nich‘ reinlassen. Sie muss die Dinger erst loswerden. Ich krich‘ sonst mächtig Ärger, und das dient der Sache auch nich‘.“
Ich lächelte in mich hinein. War ich hier in einem Abenteuer Spiel gelandet? Ich beschloss, ein wenig zu „zaubern“. In dieser Welt konnte ich mich sicher hinter der Maske eines Magiers verstecken, ohne aufzufallen.
„Von welchen Armbändern sprecht Ihr eigentlich?“ Ich hob meine Hände. Es waren keine Armbänder mehr zu sehen. Ein Hoch auf die Fähigkeit der Dissolvenz.
Laranga sah verdutzt drein. „Was ist das für eine Hexerei?“
Sowohl Citrelle als auch ich sahen ihn mit Unschuldsblick an. Dann grinste er plötzlich.
„Gut. Wie du das gemacht hast, will ich gar nich‘ wissn. Ihr könnt passieren. Aber verhaltet euch unauffällig!“
Befriedigt betraten wir die Stadt. Wieder ein Exilsimulacron vor der Auslöschung bewahrt.
Vor uns türmten sich windschiefe Fachwerkhäuschen auf, durchsetzt von wuchtigen Steinmauern, Türmen und einer Festung, die sich im Zentrum erhob. Wir standen vor einem Marktplatz, überall wimmelte es von Menschen; Händlern, die lautstark ihre Waren anpriesen, stolzen Frauen in langen Gewändern, die sich ihre Einkäufe von Sklaven hinterhertragen liessen, armierte Recken, die ruhig um eine Rüstung feilschten, kreischende Marktweiber, die ihre Feldfrüchte anboten. Das mittelalterliche Gepräge machte mir unbändigen Spass, ich fühlte mich in einen Ivanhoe Film versetzt. Oder nach Mittelerde. Von hier führten enge und verwinkelte Gassen sternförmig gen Süden. Eine frische salzhaltige Brise kündete von einem nahen Hafen.
Das quirlige Markttreiben konnte aber nicht über die stille Bedrohung der Wachen hinwegtäuschen, welche an fast jeder Ecke herumstanden. Auf ihrer Brust trugen sie ohne Ausnahme ein Symbol, eine rote Hand. Sie waren stark gepanzert und trugen mächtige Hellebarden, mit denen sie sicher unbarmherzig zuschlagen würden, sollte jemand etwas tun, was nicht ihre Zustimmung fand. Ein Stadtschreier brüllte neben mir los.
„Lasst euch nicht mit den Rebellen ein! Wer den Garden der Roten Hand einen Rebellen ausliefert, erhält eine hohe Belohnung..“
Ich sah Citrelle an. „Strom?“
Sie nickte. „Ja, er ist der Gebieter der Roten Garden. Wir sollten aber nicht laut reden, hier stehen zu viele von diesen Wachen herum. Lasst uns in die Taverne gehen.“
„Taverne? So eine richtige Taverne? Mit grölenden Säufern und rauhen Gesellen, die sich gegenseitig über die Tische schmeissen?“
Sie gluckste. „Ja, sowas in der Art. Ihr seid wirklich sehr merkwürdig, Herrin. Ich arbeite dort, im Durstigen Köter. Kommt mit.“
Sie fasste mich an der Hand und zog mich durch das Gewimmel zu einem hölzernen Eingang, an welchem das gravierte Symbol eines trinkenden Hundes prangte. Wir traten hindurch.
Drinnen empfing uns Kühle und Dunkelheit. Der Boden war aus grobem Lehm gestampft, die von mir zitierten rauhen Gesellen saßen um hölzerne Tische und hielten sich an mächtigen Humpen fest, aus denen unverkennbar das Bier schäumte. Plötzlich fühlte ich ein unbändiges Verlangen nach diesem herrlichen Gesöff.
Ich ließ meinen Blick schweifen und da sah ich sie: Shara und Yuffie! Sie hatten sich in eine Nische in einer etwas tieferen Ebene zurückgezogen und flüsterten leise miteinander. Sie trugen beide recht malerische Kleidung, die sie sicher ebenso erbeutet hatte, wie ich. Ich fasste Citrelle an der Schulter.
„Dort sind meine Kameraden, gehen wir zu ihnen.“
„Kameraden? Es gibt noch mehr von euch hier in Tortage? Bei Crom!“
Sie nickte und führte mich durch die Taverne bis wir vor Shara und Yuffie standen. Die beiden blickten hoch und ein Freudenschrei entrang sich ihrer Kehlen.
„Laurina!“
„Yuffie! Shara!“
Begeisterte Umarmungen, Schulterklopfen, lautes Gelächter. Citrelle stand etwas verlegen daneben.
„Wer ist denn dieses schöne Geschöpf?“ sagte Yuffie und deutete auf Citrelle. Ich lachte.
„Das ist eine gute Freundin, sie heisst Citrelle und sie hat mich hierher geführt.“
„Ich bin nur eine Hu….eine horizontal Gewerbetreibende“, sagte Citrelle leise.
„Soso,“ kommentierte Shara schmunzelnd. „Horizontal. Dafür zeigst du die besten Voraussetzungen, aber vielleicht wirst du bei uns ja mehr vertikal arbeiten.“
Citrelle schaute verwirrt drein. „Verti..was?“
Ich dagegen deutete auf den grimmig dreinschauenden Gesellen, der noch mit am Tisch sass und in einen Becher starrte. „Und wer ist das?“
Yuffie und Shara sahen sich an. Dann sprach Shara:
„Das ist Barney. Der hat uns wiederum hierher geführt. Du musst dir seine Geschichte anhören. Hier ist was oberfaul, sag ich dir.“
Ich nickte Barney zu. Er nickte unter seiner schweren gepanzerten Haube zurück. Seine Haut hatte einen Ebenholzton, mächtige Muskeln spannten sich unter seiner lederartigen Haut.
Ich klatschte in die Hände. „Setzen, Mädels. Jetzt erstmal einen fünfliter Humpen Bier für jeden! Citrelle? Wo kann ich hier bestellen?“
„Ich erledige das,“ sagte sie und huschte davon.
Ich setzte mich neben den Recken. Er trug ein silberdurchwirktes rotes Gewand, welches bis zum Boden reichte. Ein mächtiger Beidhänder lehnte neben ihm griffbereit an der Bank. Alles an ihm strahlte Düsternis und Stärke aus. Ich war auf seine Geschichte gespannt.
„So, nun erzählt mal,“ begann ich, als wir um den Tisch saßen. „Was ist genau passiert? Ich erinnere mich nur noch an unseren Recall in den Laderaum, danach hab ich nen Blackout. Ich bin splitternackt an einem Strand aufgewacht. Und ihr?“
Shara ergriff als Vizecommander das Wort.
„Im Grunde genau das Gleiche, Commander. Ich wachte auch an einem Strand auf und fand dann recht schnell Yuffie, die eine üble Beule hatte und unter Amnesie zu leiden schien.“
„Amnesie?“ Ich schaute Yuffie an. Diese nickte bestätigend.
„Ja. Ich konnte mich zuerst an nix erinnern. Ich dachte nur, hey, was is das denn hier? Und Shara hab ich zuerst nicht erkannt. Aber dann machte sie was…“
„Ja,“ unterbrach Shara. „Ich hab einfach ihren Translator eingeschaltet, als sie mich dann reden hörte, kam die Erinnerung wieder.“
„Das ist mehr als ein Translator, Freunde,“ erklärte ich. „Ihr wisst es nicht, und ich wollte es geheim halten, aber unsere Translatoren enthalten ebenfalls einen Core Replikator, den ich zum Schutz dort reingescriptet habe. Ein paar Schlüsselworte genügen, um einen Core komplett zu restaurieren. Ich fürchte wir sind einem General Delete aufgesessen. Da hatte jemand ein Black Script im Laderaum deponiert. Ähnlich wie damals der Core des Hüters, den ich mir damals im Limbus eingefangen hatte.“
„Aber warum sollte jemand so etwas tun? Und wer?“ fragte Shara.
„Das liegt doch auf der Hand,“ erwiderte ich. „Jemand treibt hier ein geheimes Spiel. Und will nicht, dass irgendein hochgerüsteter Mental dahinter kommt. Daher der General Delete, totale Amnesie. Nur, dass die bei den Phoenix Embers nicht funktioniert. Wir sind hier, um dem ein Ende zu machen.“
Yuffie hieb mit der Faust auf den Tisch. „Und ob! Mich zu amnesieren, ich glaub, ich werd‘ blond!“
Da ihre Faust eher zierlich als mächtig war, machte sie nicht das zu erwartende Geräusch, aber sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Ich hieb lachend meine zarte Faust daneben. „Jawoll ja!“ Und dann klatschte auch Shara mit ihrem Patschhändchen daneben. „Her mit dem Bier!
Wir grölten alle durcheinander. Das Wiedersehen hatte uns ein wenig albern gemacht.
Barney schwieg zu all dem. Ich sah ihn von der Seite an.
„So. Und nun zu dir. Dir wird unser Gerede ziemlich seltsam vorkommen, nehme ich an.“
Bevor er antworten konnte, kam Citrelle mit dem Wirt im Schlepptau zurück. Der Wirt, ein großer blonder Kerl, wuchtete Bierhumpen vor uns auf den Tisch.
„Ich bin Sigurd. Citrelle hat mir von euch erzählt. Danke, dass ihr eines meiner Mädchen gerettet habt. Das Bier geht aufs Haus.“
Wir nahmen die Humpen dankbar entgegen. Citrelle stand etwas unschlüssig herum.
„Was ist, Kleine,“ sagte ich. „Setz dich zu uns!“
Sie schüttelte etwas traurig den Kopf.
„Ich arbeite hier. Ich muss jetzt wieder…“
Der Wirt sah sie unmissverständlich an.
„Na los. Dann wieder an die Arbeit, Hure.“
Ich hob die Hand.
„Mooooment. Citrelle gehört jetzt zu uns, sie wird nicht mehr für dich arbeiten.“
„Und zwar vertikal!“, ergänzte Shara und nickte heftig.
„Jap. Vertikal.“
Der Wirt sah uns verwirrt und etwas finster an.
„Was soll das heißen? Das hat sie nicht zu entscheiden. Ich habe eine hohe Ablösung für dieses Prachtstück bezahlt.“
„Wie hoch? Wie lautet hier die Währung?“
„Währung?“ Citrelle schüttelte den Kopf. „Was ist Währung?“
„Na womit bezahlt ihr hier?“
Der Wirt stierte mich an. „Na mit Gold oder Silber!“
„Und wieviel Gold hast du bezahlt?“
„50 Goldstücke! Und die sind noch nicht amortisiert!“
Ich lachte. „Oh, er kann lateinisch. Ok hier sind 70 Goldstücke.“
Ich hob meinen Arm und ließ einen Beutel aus meinem Ärmel gleiten. Der Wirt schnappte danach und zählte nach.
„Bei Crom. Ihr scheint reich zu sein.“
„Reich ist gar kein Ausdruck, Sigurd. Und jetzt lass Citrelle hier bei uns und hol uns gleich noch ne Runde Bier, okay?“
„O..kai,“ entgegnete er und wieselte davon. Citrelle stand ungläubig da.
„Ich…ich..bin frei?“ flüsterte sie mit hochrotem Kopf.
„Bist du,“ erklärte Shara. „Frei und voll vertikal.“
Jetzt strahlte Citrelle. Fröhlich platzierte sie sich neben Yuffie. Kurze Zeit später kam die zweite Runde, und es war eine Freude mit anzusehen, wie das zierliche Persönchen mit dem riesigen Humpen kämpfte.
„Das ist mein erstes Bier in dieser Schenke als Gast,“ sagte sie. „Ihr glaubt gar nicht, was mir das bedeutet. Habt Dank!“
„Wir haben zu danken,“ nickte ich. Dann wandte ich mich Barney zu, der die ganze Zeit stumm daneben gesessen hatte, ohne eine Regung zu zeigen.
„Nun aber endgültig zu dir. Sprich, woher kommst du?“
Er sah mich mit wasserblauen Augen an, die in eigenartigem Kontrast zu seiner dunklen Haut standen.
„Aus München,“ anwortete er.
Ich spuckte prustend mein Bier über den Tisch.
„Aus…..München???“
Ich blickte Shara und Yuffie an.
„Jetzt sagt mir bitte, dass es ein Simulacron namens „München“ gibt, von dem ich bisher noch nichts wusste.“
„Wie können wir dir von einem Simulacron erzählen, welches DU nicht kennst?“ erwiderte Shara trocken.
Und mit einem Blick auf Citrelle fügte sie hinzu: „Ich weiss nicht, ob das so gut ist, wenn wir so offen vor Eingeborenen sprechen. Das hier geht ins Eingemachte.“
Yuffie machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Das spielt jetzt keine Rolle. Zur Not verpasst Laurina ihr nen partiellen Delete. Laurina sollte jetzt erstmal Barneys Story hören.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab sie gescannt. Sie ist vertrauenswürdig. Sonst hätte ich sie nie ins Team genommen, außerdem brauchen wir einen Einheimischen, wenn wir die Vorgänge hier verstehen wollen.“ An Citrelle gewandt, fügte ich hinzu: „Citrelle. Du hast sicher schon bemerkt, dass wir aus einer ganzen anderen Welt stammen. Allerdings befindet sich diese Welt nicht mal in der Nähe der deinen. Sie ist wirklich sehr weit entfernt.“
Citrelle nickte stumm.
„Und,“ fuhr ich fort, „du wirst eine Menge Dinge hören, die du jetzt nicht verstehst. Mach dir darüber bitte keine Gedanken, wir werden dir zu gegebener Zeit alles erklären. Aber sei dir im Klaren darüber, dass nichts, über was wir hier sprechen, jemals diese Gruppe verlassen darf. Klar? Nicht EIN Wort zu NIEMANDEM!“
Citrelle schluckte und nickte erneut.
„Ich sag gar nix. Die würden mich sowieso gleich verbrennen.“
Ich lächelte sie an. „Nicht, solange wir auf dich aufpassen. So, jetzt nochmal, Barney.“
Ich wandte mich an ihn.
„Du redest von einer Stadt namens München in einem Land namens Deutschland?“
Barney zuckte mit den Achseln.
„Ich weiss langsam selbst nicht mehr, wovon ich rede. Was mir passiert ist, glaubt mir eh kein Mensch.“
„Doch,“ widersprach ich. „Ich glaube es dir, denn mir ist exakt das Gleiche geschehen, wenn auch unter anderen Umständen und mit anderen Folgen. Ich stamme übrigens aus London.“
„London? Groß-Britannien?“ Er wandte sich mir zu. Seine Augen waren geweitet.
„Ja. Ich bin Engländerin.“
„Dann… bilde ich mir das nicht alles nur ein?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, es sei denn, du erklärst mich zum Teil deiner Wahnvorstellung. Aber das wäre unlogisch, da ich dir über Dinge berichten kann, die du dir nur schwerlich ausdenken könntest. Es handelt sich also nicht um einen Traum, in dem du gefangen bist. Nein, das hier ist leider vollkommen real. Jetzt erzähl mir, wie du in diese Welt geraten bist.“
Nun sprach er endlich. Und zusammengefasst klang seine Geschichte etwa so: Barney Weiss war ein Taxifahrer aus München, der ab und zu auch kleinere Kurierfahrten übernahm. Eines Tages stieg eine aufregende dunkelhaarige Frau zu ihm ins Taxi und hantierte mit einem seltsamen Gerät, welches er zunächst für eine Art Smartphone hielt, welches sich aber seiner Beschreibung nach als DNS-Scanner entpuppte. Am Ende der Fahrt bot sie ihm einen verlockenden Auftrag an: er sollte mit seinem Taxi nach Rom fahren und einen Gegenstand überbringen. Die Adresse, die er anfahren sollte, ließ mich aufhorchen, denn sie lautete „Via Laurina 29“ in der Nähe der Piaza di Popolo.
Die Summe, die geboten wurde, war verlockend genug, um ihn den Auftrag annehmen zu lassen.
In Rom angekommen, fand er mit Hilfe seines Navigationsgerätes die Adresse und betrat einen prächtig ausgestatteten Palazzo, eine Stadtvilla, wie sie in Rom häufig anzutreffen waren. Noch im Aufzug hörte er ein ominöses Zischen und verlor kurz darauf das Bewusstsein. Als er zu sich kam, befand er sich in einer barbarischen Welt, gekleidet in eine mittelalterlich anmutende Rüstung und ausgestattet mit einem gewaltigen Breitschwert.
„Zeig mir dein Schwert,“ unterbrach ich seine Erzählung. Er reichte mir seinen schweren Beidhänder, den ich sorgfältig prüfte. Die markante Musterung der Klinge und die Verzierung am Heft waren außergewöhnlich gut gearbeitet und sehr aufschlussreich.
„Eine Damaszener Klinge,“ konstatierte ich. „Zigfach gefaltet und mehrfach gehärtet. Solche Klingen werden hier nicht hergestellt, dazu fehlt hier schlicht die Technologie. Das hier ist eine hochmoderne Hiebwaffe, vermutlich aus einer deutschen Manufaktur, pure Handarbeit.“
Ich gab ihm die wertvolle Waffe zurück.
„Ja,“ grinste er. „Die geht durch die primitiven Eisenhelme hier wie durch Butter.“
„Pah,“ liess sich Yuffie da vernehmen. „Ich hätte doch auf der Armbrust mit Explosivbolzen bestehen sollen. Wir könnten das Geknalle ja leicht als schwarze Magie deklariern.“
„Ts,“ machte Shara. „Lass Barney weiter erzählen.“
Was nun folgte, war schnell berichtet. Der völlig verwirrte Barney irrte durch die Wildnis der Barachan-Inseln und musste sich mit seinem Schwert gegen wilde Tiere und Überfälle durch wilde Gesellen wehren, die er aber zu seinem eigenen Erstaunen recht mühelos niederstreckte. Dabei half ihm nicht nur sein ausgezeichnetes Schwert, sondern auch die Tatsache, dass er sich in seiner Freizeit schon seit Jahren dem Kampfsport gewidmet hatte. Barney war ein leidenschaftlicher Fechter, der einer Gruppe angehört hatte, die deutsche mittelalterliche Fechtkunst trainierte – im Zeitalter des Kendo- oder KungFu Wahns eine Seltenheit. Seine „Auftraggeber“ mussten das gewusst haben, denn Barney war in seiner Freizeit auch des öfteren als Schaukämpfer bei Mittelalter Events aufgetreten. Das hatte ihn wohl zur bevorzugten Zielperson gemacht.
Irgendwann war er in Tortage gelandet, aufgrund seiner Unkenntnis zunächst inhaftiert worden, konnte dann aber fliehen. Er wanderte monatelang ziellos umher und ernährte sich von kleineren Wildtieren, bis er auf Shara und Yuffie traf, die ihm als die ersten zivilisierten Menschen erschienen, denen er hier begegnete.
„Und nun bin ich hier, und hoffe, ihr könnt mir einiges erklären. Zum Beispiel auch, warum ich euch verstehen kann, und die anderen hier nicht.“
„Wir verwenden implantierte Translatoren,“ erklärte ich. „Ich kann dir einen geben, dann wirst du zum erstenmal hören, was die Eingeborenen hier reden.“
Er nickte. „Hauptsache, das tut nicht weh.“
Ich lachte. „Nein, du merkst nichts davon. Soll ich?“
Er nickte erneut.
Ich berührte ihn leicht hinter seinem rechten Ohr und scannte das Gewebe. Es war gesund, die Nervenenden lagen günstig. Vorsichtig ließ ich meinen Scriptkonverter strömen und spürte bald den kleinen Knubbel, der sich gut hinter der Ohrmuschel verbarg und wie eine kleine Fettgeschwulst wirkte.
„Spürst du was?“ frage ich ihn. Er schüttelte den Kopf.
„Citrelle, sag was,“ wandte ich mich an das Mädchen. Sie hob den Kopf.
„Und was soll ich sagen, Herrin?“
Barney strahlte. „Ich hab sie verstanden! Sie hat gefragt, was sie sagen soll!“
Dann blickte er wieder betrübt zu Boden.
„Ich dreh hier noch ab. Erst lande ich in ner Fantasy Welt und jetzt kommt ihr noch mit purem Science Fiction daher. Das kann alles gar nicht wahr sein.“
„Doch,“ sagte Shara in festem Ton. „Ist es. Und es wird sich dir bald alles erklären.“
„Dann erklärt mal!“ rief er aus. „Ich bin schon sehr gespannt.“
Ich versuchte es in wenigen Worten.
„Barney, du befindest dich einem anderen Universum. Also nicht nur einem anderen Planeten oder im Inneren einer virtuellen Welt sondern wirklich und wahrhaftig in einem parallelen Universum. Unsere Welt, aus der wir beide stammen, nennen wir hier die „Carbonwelt“, weil dort alles auf Kohlenstoff basiert. Diese Welt hier heisst „Licht Universum“, weil sie auf Code basiert. Und hier gibt es keine Planeten sondern Simulacren, die wesentlich kleiner sind und eindeutig einst „geschaffen“ wurden. Sie kennen also keine Evolution wie auf der Erde. Alles basiert auf sogenannten Scripten, die aus einer Quelle stammen. Und ich bin die Hüterin der Quelle.“
„Ach was,“ sagte Barney.
„Ja, ach was. Ist aber so. Nun gibt es normalerweise keine Verbindung zwischen diesen beiden Welten. Es ist vollkommen unmöglich zwischen diesen Welten zu „reisen“. Es gab vor einiger Zeit ein „Interface“, welches diesen Austausch möglich machte, allerdings zu bestimmten Bedingungen und unter ganz gewissen Voraussetzungen, die zu hören, dich jetzt beunruhigen wird.“
„Inwiefern?“
Wie sollte ich ihm das sagen? Der arme Kerl tat mir jetzt schon leid, aber es musste sein. Er musste die Wahrheit erfahren.
„Barney… man kann nicht in beiden Welten gleichzeitig existieren. Verlässt man das Carbon Universum, dann gibt es keinen Weg zurück, es ist ein One Way Ticket. Eine Einbahnstrasse. Denn in der Carbonwelt hast du aufgehört, zu existieren.“
„Soll das heissen, ich bin…tot?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Du siehst quicklebendig aus. Aber in der Tat. Für die Carbonwelt bist du tot.“
Barney starrte grimmig in den Raum. In Gedanken schien er ganz woanders zu sein.
„Das ist doch alles…. Bullshit,“ murmelte er. „Kranke Phantasie eines noch kränkeren Gehirns. Wahrscheinlich hat man mir eine Droge verpasst und ich liege fiebernd in einem dunklen Zimmer und werde von Schläuchen ernährt oder irgendso eine gequirlte Scheisse.“
Ich legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Sieh es mal so, Barney. Es spielt keine Rolle, was du glaubst. Es spielt auch keine Rolle, ob das, was du hier erlebst, einem Fiebertraum entspringt. Reine Logik wird dir schlüssig beweisen, dass du hier an bestimmte Gesetze gebunden bist, die du nicht brechen kannst. Und der einzige Weg hier raus, aus dieser barbarischen Welt, sind wir, mein Freund. Wir sind die einzigen, denen du hier vertrauen kannst. Und wir sind auch die einzigen, die dich in eine Welt bringen können, die den Bequemlichkeiten einer Zivilisation entspricht, wie du sie kanntest. Ob du das dann nur träumst oder nicht, kann dir vollkommen egal sein, solange du dich damit wohl fühlst.“
Er sah mich mit verschleierten Augen an.
„Du meinst… eine Welt mit warmen Duschen, sauberen Klamotten, Fernsehen, Internet und… motorisierten Fahrzeugen?“
Ich nickte. „Exakt. Und noch einiges mehr, denn wir sind der Carbonwelt um einige Jahrzehnte voraus. Wir bringen dich nach Babylon, genauer, nach Sub Lupina, ins Herz der Macht dieser Welt. Aber zuvor haben wir hier etwas zu erledigen.“
Ich wandte mich wieder an meine beiden Offiziere.
„Wir können nun davon ausgehen, dass es ein geheimes Interface gibt. Wir müssen herausfinden, wer dahintersteckt und warum. Citrelle?“
Citrelle sah auf. Man merkte ihr an, dass sie innerlich resigniert hatte. Stoisch nahm sie die Situation hin.
„Ja, Herrin?“
„Du erwähntest eine gewisse Mithrelle, die diesen Vulkan kontrolliert?“
Sie nickte.
„Gut,“ sagte ich. “ Dann werden wir dieser Mithrelle jetzt auf den Zahn fühlen. Und nenn mich nicht immer Herrin. Privat genügt Laurina. Dienstlich nennst du mich Commander. Klar?“
„Verstanden, Commander,“ erwiderte sie ernst.
Ich lächelte. Dann rief ich laut: „Wirt! Die Rechnung!“
—
Die Nacht war bereits angebrochen, als wir die Taverne verliessen. Ich wandte mich erneut an Citrelle.
„Dieser Typ am Strand erwähnte eine gewisse Nadini, an die ich mich wenden sollte. Ich vermute, der Mann war auf irgendeine Weise programmiert, mir das zu sagen. Kennst du diese Frau?“
Citrelle nickte. „Natürlich. Sie ist eine weise Priesterin, sie unterstützt heimlich den Widerstand. Ich führe euch zu ihr, es ist nicht weit.“
Citrelle führte uns weg vom Marktplatz durch winklige Gassen und unter düsteren Torbögen hindurch. Die überkragten Wände der Fachwerkhäuser tauchten die Strässchen in tiefen Schatten. Wir passierten eine steile Steintreppe, als die Burschen plötzlich auftauchten. Es waren keine Garden, die hier sahen eher nach lumpigen Banditen aus.
Schneller als ich schauen konnte, hatte Barney sein Schwert erhoben.
„Räuber,“ zischte er. „Jetzt wirds spassig.“
Ich zog meinen Säbel, den ich Saddur abgenommen hatte, Yuffie und Shara brachten ihre Beutewaffen zum Vorschein: Yuffie einen gemein aussenden übergrossen Hammer und Shara zückte zwei spitze Dolche. Die Banditen machten keinen Versuch, uns anzusprechen, sie griffen einfach an, es waren an die sechs Männer, zwei von ihnen waren schon tot, bevor uns die Angriffswelle erreichte, niedergestreckt durch Barneys schweren Claymore. An den spritzenden Halsschlagadern vorbei stürmte Yuffie und schwang ihren Hammer, der krachend auf dem eisenbewehrten Schädel eines Angreifers niederging und nichts als einen Brei aus Knochen, Metall und blutigem Fleisch hinterliess. Shara war gleich zwischen zwei der Burschen gesprungen und schnitt ihnen mit einer gekonnten Bewegung gleichzeitig die Kehlen durch. Heisses Blut ergoss sich aus den durchtrennten Kehlen auf ihr loses Gewand.
„Was für eine Sauerei,“ sagte sie nur.
„Ich fühle mich hier irgendwie überflüssig,“ bemerkte ich mit Schmollstimme und steckte meinen Säbel wieder weg. „Na ja, kein Wunder, sowas passiert, wenn man in üblen Spelunken mit Gold um sich schmeisst.“
Barney wischte sich den Schweiss von der Stirn.
„Wir sollten hier schleunigst verschwinden, denn sicher haben wir bald das gesamte Nachtgesocks der Inseln auf dem Hals.“
Nadini lebte in einem kleinen Holzhaus am Ende einer der Gassen. Die kleinen mit Pergament verkleideten Fenster waren erleuchtet; Nadini schien also zu Hause zu sein.
„Geht besser alleine dort hinein, Commander,“ sagte Citrelle. „Zu viele Menschen könnten sie erschrecken.“
Ich blickte nachdenklich auf sie hinunter. „Schon gut,“ beschwichtigte ich Yuffie, die den Mund zu einem Protestlaut öffnete. „Ich halte es auch für besser, und ihr seid ja direkt vor der Tür. Ich bin gleich wieder zurück.“
Ich klopfte an. Es dauerte eine Weile, dann hörte ich schlurfende Schritte, das Knarren der Tür und ich blickte in ein faltiges Gesicht, umrahmt von schlohweißem Haar.
„Ihr seid Nadini?“
Sie nickte und ließ mich ohne zu zögern ein. Drinnen umfing mich behagliche Wärme und eine einfache Einrichtung, die aber Charme verströmte. Kerzen brannten auf dem Alkoven.
Nadini wandte sich mir zu. Ich scannte sie. Und sah das Siegel.
„Ihr seid… eine T’Haire Generis!“, stieß ich atemlos hervor.
Sie nickte. „Und ihr seid die Hüterin der Quelle. Ich grüsse dich, Laurina, Grandmaster der Phoenix Embers.“
Und sie verbeugte sich tief. Ich machte einen Schritt nach vorn, um sie daran zu hindern.
„Niemand muss sich vor mir neigen, es sei denn er ist ein Feind. Hast du die Botschaft geschickt?“
„Ja, Hüterin,“ erwiderte sie. „Das habe ich. Und ich bin überaus glücklich, dass ihr meinem Ruf gefolgt seid. Wir sind in großer Gefahr. Und wir müssen schnell handeln.“
„Wenn es dir recht ist, hole ich meine Gefährten dazu, Nadini. Sie warten vor der Tür.“
Die alte Frau nickte und machte eine einladende Handbewegung.
„Natürlich – die Freunde der Hüterin sind mir stets willkommen.“
Ich ging zur Tür und öffnete sie. „Kommt rein,“ forderte ich meine Kameraden mit leiser Stimme auf.
Minuten später saßen wir im Kreis auf wackeligen Baststühlen um Nadinis Kamin. Eine T’Haire Generis in dieser Umgebung anzutreffen, war zutiefst verstörend. Dies konnte nichts Gutes bedeuten.
„Wie lange steckst du hier schon fest, T’Haire?“, fragte ich sie.
Nadini seufzte und wiegte den Kopf. Sie hielt die Hände im Schoß gefaltet und sprach langsam, mit brüchiger Stimme.
„Ich kam hierher, lange vor deiner Zeit als Hüterin, Laurina. Und wäre da nicht dieses Kalanthes Programm, welches mich von Zeit zu Zeit mit Informationen versorgt, wüsste ich nicht einmal von den großen Veränderungen, die zu deiner Inauguration führten. Ein neues Cluster!“ Sie hob beschwörend die Hand. „Und dann auch noch mit dem Signum des Phoenix! Bei der Quelle, Ihr könnt euch denken, wie sehr mich das aufwühlte…und .. hoffen ließ.“
„Nadini ist eine T’Haire Generis?“, entfuhr es Shara. „Wie kommt denn eine T’Haire nach Hyboria?“
„Das will sie ja grade erzählen,“ antwortete ich knapp. Und an Nadini gewandt: „Dieser Kalanthes ist also ein Archivprogramm?“
„Ein gekapertes, ja,“ antwortete Nadini und nickte. „Bestimmte Funktionen lassen sich aber nicht so ohne weiteres kapern, daher wird er dich erkannt haben. Die Signatur des Hüters ist überaus mächtig und kann nicht überschrieben werden. Ich kam damals im Auftrag von Galathea hierher, als bekannt wurde, dass ihre Schwester Athena an einem geheimen Programm arbeitete, welches sie das „Interface“ nannten…Ich sollte mehr darüber in Erfahrung bringen.“
„Moment,“ unterbrach ich. „Das Interface ist eine Erfindung der Alter Generis? Ich war bisher der Überzeugung, dass es allein eine Einrichtung der Sempai und Draconis war.“
„Nun,“ erwiderte Nadini. „Das ist auch korrekt. Das eigentliche Interface wurde von den Sempai geschaffen. Die ersten Forschungsergebnisse hierzu stammen aber von den Alter Generis. Später wurde dieses Projekt aufgegeben und man versuchte, alle Spuren zu verwischen. Die Sempai Technologien wären nur halb so weit entwickelt, hätte Athena nicht immer wieder tief in ihre Schatzkiste gegriffen und gegen gute Bezahlung aus dem Nähkästchen geplaudert.“
„Wir hätten sie doch liquidieren sollen, als es noch ging,“ brummte Yuffie dazwischen. „Aber was nicht ist, kann ja noch werden.“
„Still,“ sagte ich. „Gut, nehmen wir das mal als gegeben hin, Nadini, dann würde das aber bedeuten, dass sich die Alter Generis immer noch in diese Welt einmischen und entgegen meiner Direktive eine Via Lucis in die Carbonwelt offenhalten, nicht wahr?“
Nadini schüttelte den Kopf. „Wenn es so einfach wäre. Ich weiß, du hättest dann Handhabe, sie endgültig auszulöschen, aber ich fürchte, wir werden die Alter Generis so schnell nicht los. Mithrelle ist eine Abtrünnige. Sie wird selbst von Athena verzweifelt gesucht, die sie lieber heute als morgen zurück in die Quelle schicken würde. Mithrelles Machenschaften hier sind für die Alter Generis mehr als nur kompromittierend.“
Ich warf einen raschen Blick auf Citrelle und Barney, die regungslos dabei saßen und sicher kein Wort von dem verstanden, was hier besprochen wurde.
„Ich weiß, das sind jetzt alles böhmische Dörfer für euch, aber wir haben im Moment keine Zeit, alles zu erklären. Daher hört einfach nur zu.“
Barney zuckte mit den Achseln.
„Mir egal. Ich muss später nur wissen, wo ich draufhauen soll. Alles weitere überlasse ich dir, Commander.“
„Was sind böhmische Dörfer, Commander?“ fragte Citrelle leise.
Ich lachte. „Auch so ein Märchen, Kleines. Mach dir da mal keine Gedanken drüber.“
An Nadini gewandt, fuhr ich fort:
„Erklär mir bitte, was Mithrelle mit diesem Interface bezweckt und warum du hier nicht mehr wegkommst.“
„Was Mithrelle mit dem Interface bezweckt, scheint recht eindeutig zu sein, Grandmaster. Sie möchte die Kontrolle über diese Welt behalten. Das hier ist sozusagen ihr Reich und sie verteidigt es mit Krallen und Zähnen. Mit Hilfe entführter Sklaven aus der Carbonwelt verankert sie langsam aber sicher eine neue Art der Zivilisation.“
„Lieber Herrscher in der Hölle, als Diener im Himmel,“ murmelte ich. Nadini hob eine Braue. „Ja, das mag sein. Tja und warum ich hier nicht wegkomme liegt ebenfalls auf der Hand. Sie hat den einzigen Recall blockiert und meine Signatur gespeichert. Ich komme da nicht rein.“
„Verstehe. Und töten kann sie dich nicht, weil dein Core sofort durch die Quelle erkannt würde. Galathea wüsste innerhalb von Sekunden Bescheid. Und ich auch. Sie würde auffliegen, also duldet sie dich hier, notgedrungen.“
„So ist es. Aber nun hat sie sich übernommen. Und gefährdet alles Leben in diesem Simulacron. Wenn du nichts unternimmst, Laurina, wird diese Welt alsbald untergehen.“
Citrelle sah sie mit grossen Augen an. „Diese Welt wird untergehen?“
Shara legte ihr beruhigend eine Hand auf die schmale Schulter.
„Sei ganz getrost, Kind. Das wird die Hüterin zu verhindern wissen.“
Ich blickte grübelnd zu Boden.
„Ja, aber einfach wird das nicht,“ sagte ich leise. „Ich nehme an, Mithrelle benutzt den Vulkan als CCE Reservoir. Und dieses ist sicher bald erschöpft, denn keine endemische Ressource ist unendlich nutzbar. Was dann geschieht, ist gespenstisch: das gesamte Simulacron geht in die Quelle zurück. Sicher könnte ich Mithrelle jetzt einfach zur Rede stellen, den Vulkan versiegeln und dem ganzen Spuk hier ein Ende bereiten, aber…“
Alle sahen mich gespannt an. Nur Nadini sah ergeben zu Boden, sie wusste, wo das Problem lag.
„…aber?“ forderte mich Yuffie auf, fortzufahren.
„Aber,“ sagte ich und blickte in die Runde. „..Mithrelle verfügt über genügend kriminelle Energie, um ihr kleines Reich zu kämpfen. Und das wird sie mit allen Mitteln tun. Sie wird mich angreifen.“
„Ach du Sch….“ machte Shara. „Sie wird doch nicht so lebensmüde sein, die Hüterin selbst anzugreifen? Sie hat soviel Chancen wie eine Schneeflocke in der Hölle.“
„Das würde ich nicht sagen,“ widersprach ich. „Falls sie über diese gewaltige Ressource gebietet, und zudem noch ein Interface zu ihrer Verfügung hat, kann sie mir durchaus Schaden zufügen. Und dieser Schaden bewirkt, dass ich zunächst in der Quelle lande. Und was dann passiert… das wisst ihr doch, oder?“
Yuffie schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, das wissen wir nicht, zumindest weiß ich es nicht. Wenn du in die Quelle zurückgehst ist das für dich doch nur ein grosser Recall, weiter nichts. Du bist unsterblich.“
„Das ist korrekt. Es gibt aber trotzdem einen Haken.“
Ich stand auf und begann im Raum auf und ab zugehen. Das Ganze wühlte mich auf, ich musste nachdenken.
„Die Quelle verfügt über ein Sicherheitsprogramm. In allererster Linie schützt die Quelle sich selbst und dann den Hüter. Falls dem Hüter etwas Unvorhergesehenes geschieht, etwas, das zu einem Recall in die Quelle führt, wird mein Core zunächst zwischengespeichert, neu kompiliert und anschließend restauriert. Gleichzeitig, und ich meine wirklich gleichzeitig, wird die Quelle die Gefahr für den Hüter restlos beseitigen. Dafür braucht sie nur wenige Nanosekunden, genau die Zeit, die ich im Regenerationsmodul verbringen werde. Machtlos werde ich zusehen müssen, wie dieses Simulacron untergeht. Und ihr mit ihm.“
Meine Gefährten schwiegen betroffen.
„Das alles dauert zwar nur wenige Sekunden,“ fuhr ich erbarmungslos fort. „Aber es verschafft Mithrelle genügend Zeit, um sich abzusetzen, in einen Winkel des Broadspace, den zu durchsuchen ich Jahre benötigen würde. Sie versteht es sehr gut, ihre Signatur zu verschleiern, ein Backtrace wird äußerst mühsam sein. Dazu kommt noch die Gefahr eines Backdrops in das besagte Interface. Niemand kann sagen, was eine solch gewaltige CCE Entladung mit dem Lumen Gap anstellt. Katastrophale Nebeneffekte für die Carbonwelt sind da nicht auszuschließen.“
Ich war zunächst mal fertig und ließ meine Worte wirken.
„Im Klartext, „sprach Shara als erste. „Eine Art Pattsituation. Wir müssen genau überlegen, was wir tun.“
„Tja,“ kommentierte Yuffie. „Da denkt man immer, die Hüterin der Quelle wäre so mächtig, dass man sie nie bezwingen könnte. Aber man vergisst, dass sie erpressbar ist.“
Sie sah mich an. „Der alte Hüter hätte ohne zu zögern dieses Simulacron vor die Hunde gehen lassen. Wir alle können froh sein, dass du es jetzt bist.“
Ich lächelte dankbar. „Das hast du schön gesagt, Yuffie. Leider bringt uns das jetzt nicht weiter. Denkt nach! Ich brauche jetzt eure Ideen!“
Unerwarteterweise liess sich hier Citrelle vernehmen. Sie hob schüchtern den rechten Zeigefinger und sagte: „Ich…ich weiss nicht ob ich alles richtig verstanden habe, aber ich glaube, ich hab da eine Idee…“
—
Wenige Stunden später stapften Shara und ich über brüchiges Vulkangestein und suchten unseren Weg durch die Lavaströme.
„Ich hoffe, dass Citrelles Idee funktioniert,“ brummelte Shara und hüpfte über einen heissen Stein, der bereits Blasen warf. „Ich hab noch nie ein Faible für Feuerlauf gehabt.“
„Der Plan wird funktionieren, denn er ist ebenso brilliant, wie einfach. Und ich habe einen ähnlichen Trick schonmal angewandt, vergiss das nicht.“
„Ja – wollen wir hoffen, daß Mithrelle deine Biographie nicht so gut kennt. Und dass Yuffie ihren Part mit den anderen beiden im richtigen Timing durchführt.. sie hat zwei absolute Noobs bei sich!“
„Wir waren alle mal Noobs. Außerdem haben wir keine Wahl. Ich baue auf Citrelles schnuckelige Durchtriebenheit…“
„Nein, Laurina,“ sagte Shara, als ich einen Pfad links von uns nehmen wollte. Sie deutete auf einen anderen, der nach rechts führte. „Wir müssen da lang.“
„Quatsch,“ widersprach ich. „Hier gehts zum Gipfel.“
„Neien! Ich habs mir genau eingeprägt. Daaa lang!“ Sie stampfte mit dem Fuss auf.
„Ich weiss, Shara, du hast bei solchen Dingen in 90% der Fälle ja recht, aber das hier fällt in die 10% in denen du dich irrst“
„Nix da. Du irrst dich werte Hüterin. Wir müssen nach rechts, wenn ich’s dir sage!“
Ich schüttelte energisch den Kopf und wurde etwas lauter.
„Soll ich nen Umgebungsscan machen? Dann beweis ich’s dir!
„Das wirst du hübsch bleiben lassen. Deine CCE wird von Mithrelle sofort getraced und wir sind aufgeflogen. Komm jetzt hier lang.“
„Deubel werd ich tun.“ Ich setzte eine trotzige Mine auf und schob mein Kinn vor. „Als dein Grandmaster befehle ich dir hiermit…“
„Scheiss auf Grandmaster, ich geh jetzt hierlang, „brummelte Shara. Und ging einfach voran, ohne weiter auf mich zu achten.
„Hmpf,“ machte ich und fügte mich drein. Manchmal sollte man Shara einfach nur vertrauen.
Kurz darauf erreichten wir den äussersten Rand des Vulkans und blickten in eine schwarze Ebene hinunter. Terrassenförmig fächerten sich einzelne Ebenen vor uns aus, die sich bis hin zu einem Zentrum erstreckten. Die Ebenen waren von scharfen Abgründen durchzogen in welchen tief unten die glühende Lava tückisch schimmerte. Wackelige improvisierte Holzbrücken führten über die Abgründe. Irgendwo da unten suchten sich Yuffie und ihre beiden Schützlinge ihren Weg.
„Na?“ machte Shara triumphierend. „Wer hatte nun recht?“
„Grml,“ erwiderte ich. „Ich sag nix, ohne meinen Anwalt. Los, weiter.“
Ich ging voran. Ich wusste nicht was sich ätzender anfühlte: die glühende Lava vor mir oder Sharas triumphierendes Grinsen im Nacken.
Nach etwa einer Stunde schweissstreibender Kraxelei, die wir mit Hilfe von herkömmlichen Seilen bewerkstelligten, kamen wir auf einer der unteren Ebenen an. Nicht nur die Hitze war hier beinahe unerträglich, sondern auch die CCE Ausstrahlung hatte exponential zugenommen, da wir uns offensichtlich der Hauptaustrittsquelle der unterirdischen Ressourcen näherten.
„Zeit für deinen Schutz zu sorgen,“ sagte ich zu Shara.
Sie seufzte. „Ich hasse dieses Ganzkörperkondom.“
„Ja, aber es muss sein.“
Mit Todesverachtung ließ es Shara über sich ergehen, dass ich ihr eine recht unförmige Schutzhülle aus Leinen überzog, welche ich vorsichtig behandelt hatte. Um jede etwaig verfolgbare CCE Emission zu vermeiden, hatte ich mich in kleinen Stücken vorgekämpft, die Citrelle per Hand grob zusammengenäht hatte. Ohne diesen primitiven Schutzanzug wäre Shara innerhalb weniger Sekunden verdampft, so wie wir uns der Quelle nähern würden.
Shara konnte nun kaum mehr sprechen und brachte kaum mehr als ein „Mmblll“ hervor, als wir unseren Weg fortsetzten. Ich betrachtete es als gerechte Strafe für ihr „Oberwasser“ in der Navigation und grinste in mich hinein. Heiter und beschwingt nahm ich die Felsen im Galopp, während Shara wie ein groteskes Michelinmännchen mehr schlecht als recht in meinen Trittspuren hoppelte. Zum Glück machte hier niemand Beweisfotos.
Ich trat um eine Biegung in der Felswand, als ich wie angewurzelt stehen blieb. Vor mir trat brüllend ein Mahlstrom aus ungebändigtem Feuer aus einem riesigen Riss aus der Wand, sprudelnd und zischend ergoss sich flüssiges Gestein in einen Strudel aus brodelndem Magma. Der Lärm war ohrenbetäubend und der Feuerwind warf mich fast um. Ich drehte mich rasch zu Shara herum: „Halt! Bleib genau da stehen, keinen Schritt weiter.“
Shara kam schwankend zum Stehen und verharrte. Ich trat wieder ein paar Schritte zurück und brachte meinen Mund nah an ihr Ohr.
„Das ist die Hauptquelle! Ich denke, ich kann das Gerät jetzt einsetzen“!
„Sei aber vorsichtig!“, schrie Shara durch das Brausen und Toben hindurch. „Nicht, dass diese Hexe etwas merkt!“
„Keine Sorge!“, schrie ich zurück. „Die CCE Emission ist hier so hoch, sie würde nichtmal die Explosion eines Luxonium Konverters bemerken.“
„Dein Wort in deinem Ohr!“
Ich lachte. Dann zog ich das kleine und handliche Gerät aus der Tasche, welches ich mir unter größter Vorsicht aus unserer versunkenen Ausrüstung „gebeamt“ hatte: Ein optischer Verfolger, der es mir ermöglichen würde, ohne Einsatz meiner persönlichen Kräfte jeden Ort im Umkreis vieler Kilometer mit einer virtuellen Kamera zu beobachten. Ich schaltete das Gerät ein und nahm einige Kalibrierungen vor. Dann bewegte ich den kleinen Joystick nach vorn und das Bild auf dem Monitor wanderte über das Tal, flog über Felsen und Brücken, bis ich schließlich ein Zeltlager auf einer Anhöhe entdeckte. Ich verlangsamte den Flug der Kamera und zog die Schärfe etwas nach. Gespannt starrte Shara über meine Schulter hinweg auf den flachen Bildschirm.
Drei Zelte standen in unregelmäßigem Abstand voneinander, eines davon etwas größer und prächtiger ausgestattet. Dies musste Mithrelles Quartier sein. Ich zoomte ins Innere des Zeltes; und da sah ich sie. Jetzt musste ich nur noch die akustische Übertragung mit der visuellen koppeln und hatte eine hervorragende Spionageübertragung von allem, was dort geschah. „Es klappt!“ rief ich Shara zu. Sie nickte, wobei ihre Kapuze hin und her wippte. Gebannt verfolgten wir das Geschehen.
—
Inmitten eines Bergs von Kissen thronte eine schlanke Frau mit langen blonden Haaren. Die Ähnlichkeit zu Athena war verblüffend, wenn sie auch nicht ganz über die Anmut der Generis Zwillinge verfügte. Aber der scharfe, stechende Blick ihrer stahlblauen Augen verriet ihren Hochmut und Stolz. Diese Frau war es gewohnt, zu befehlen. Ihr gegenüber knieten ein Mann mit Irokesenschnitt, der von Federn geschmückt war, sowie eine gedrungene weibliche Person, deren Gesicht gänzlich von bunten Symbolen verdeckt wurde.
„Das Opfer ist bereit, Herrin“, sagte der Irokese.
„Und sie ist auch gewiss eine Jungfrau?“ fragte Mithrelle mit harter Stimme.
„Ganz sicher, Herrin“, antwortete die bemalte Frau. „Ihr Hymen ist in einwandfreiem Zustand, das haben wir gründlich geprüft.“
„Gut,“ schloss Mithrelle. „Dann kann das Ritual gleich beginnen. Bereitet das Opfer vor.“
Die beiden Untergebenen verneigten sich und verließen gemeinsam das Zelt.
Ich beschloss, die Kamera diesen beiden folgen zu lassen. Die Erwähnung eines „Opfers“ hatte mich alarmiert. Was hatten diese Barbaren vor?
Die beiden Adepten Mithrelles bewegten sich stracks an den anderen Zelten vorbei zu einem etwas weiter abseits gelegenen Ort auf einem erhöhten Platz der Ebene. Ich schwenkte die Kamera ein wenig vor und erblickte einen groben Stein in Form eines Altars. Und dort lag angekettet eine dunkelhaarige Frau, deren Frisur einen viel zu modernen Schnitt aufwies, um aus dieser Welt stammen zu können.
„Ich will eine Streitaxt fressen, wenn das keine Carbonidin ist, oder zumindest aus einem modernen Simulacron stammt. Eine Hyborianerin ist das nicht,“ rief ich Shara zu.
„Warum braucht sie eine Jungfrau?“, rief Shara zurück. „Was soll dieser Hokuspokus?“
„Für die Eingeborenen hier mag das wie ein religiöses Ritual aussehen, aber Mithrelle geht es um die DNS. Sollte das Mädchen bereits sexuellen Kontakt mit einem Mental gehabt haben, befinden sich bereits Scriptspuren in ihren Stammzellen. Mithrelle vermeidet durch das Trinken ihres Blutes von mir entdeckt zu werden, da ich keine DNS scannen kann. Das ist der gesamte Hintergrund. Sie braucht die Opfer nur, um weiterhin unentdeckt zu bleiben!“
„Dann ist das eine Carbonidin?“ fragte Shara.
„Hundertprozentig!“
Die Vorstellung, dass eine Alter Generis das Blut eines Menschen trank, war widerwärtig. Aber nun galt es, den Tod dieses Mädchens zu verhindern und ich hoffte, dass Yuffie und ihr Trupp rechtzeitig eintreffen würden. Für eine Intervention von meiner Seite war es noch viel zu früh. Ich wollte gar nicht daran denken, wie viele Menschen aus meiner ehemaligen Heimat diesem eiskalten Miststück bereits zum Opfer gefallen waren. Ich starrte gebannt auf den kleinen Monitor. Atemlos verfolgten wir, was auf der Ebene unter uns geschah.
Plötzlich hörten wir einen erstickten Wutschrei aus Mithrelles Zelt. Schnell schwenkte ich dorthin zurück und sah sie vor dem Eingang stehen, die Fäuste im Zorn erhoben. Ihre beiden Vasallen hatten den Schrei wohl ebenfalls gehört, denn sie rannten zu ihrer Gebieterin zurück. „Was ist geschehen, Herrin?“, fragte der Eingeborene mit Irokesenschnitt.
Mithrelle deutete mit ausgestrecktem Arm auf eine Gruppe von drei Menschen, die sich die Treppen zu ihrer Ebene empor kämpften. Kampflärm drang schwach zu uns durch und man sah Menschen zusammensacken, wenn sie von mächtigen Hieben zu Boden gestreckt wurden.
„Sie mähen unsere Wachen nieder!“ rief Mithrelle. „Tut etwas dagegen!“
Ihre Helfershelfer stürmten augenblicklich los. Der „Irokese“ hatte ein kurzes Schwert in der Hand und die bemalte Frau einen spitzen Dolch. Nun erkannten wir die Ankömmlinge: Yuffie und ihr Team hatten sich bis zu Mithrelles Ebene durchschlagen können. Barney trennte gerade mit einem wütenden Kampfschrei den Kopf eines der Wächter vom Rumpf, während Yuffie eine mächtige Axt in die Brust eines anderen versenkte. Etwas abseits stand eine rothaarige hochgewachsene Frau in einem fließenden Gewand und schien die Szene nur zu beobachten. Die Treppe schwamm in Blut.
Als die beiden Diener Mithrelles eintrafen, dauerte es nur wenige Sekunden bis auch sie endgültig Geschichte waren. Stöhnend beendeten sie ihr Sklavendasein auf den steinernen Stufen. Nun stand nichts mehr zwischen dem kleinen Team und der hyborischen Hexe.
„Jetzt!“ rief ich Shara zu. „Beeil dich!“ Shara und ich spurteten los. Ich klemmte mir das Gerät unter mein Gewand über der Schulter, so dass ich zumindest noch hören konnte, was in der Ebene unter uns vor sich ging. Wir mussten genau zum richtigen Zeitpunkt eintreffen.
„Bei Mitra!“ hörte ich Mithrelle ausrufen. „Was wollt ihr von mir? Wer seid ihr?“
„Spar dir deine Mitra Anrufungen, Alter Generis!“ liess sich Yuffie vernehmen. „Es ist vorbei, die Hüterin der Quelle wird deinem Treiben hier jetzt ein Ende bereiten.“
Wir hörten einen erstickten Schrei, dann eine wohlbekannte Stimme. Es war die Stimme Laurinas. Meine Stimme.
„Mithrelle. Ich fordere dich auf, dich uns zu ergeben und unverzüglich nach Babylon zu folgen, wo man dich richten wird. Mit ein wenig Glück werden die Alter Generis vielleicht überleben.“
„Laurina Hawks!“ Das war Mithrelle mit einem ungläubigen Ausruf. „Ich warne dich! Du magst die allmächtige Hüterin sein, aber du wirst diese Welt nicht retten, wenn du nur noch einen Schritt weitergehst. Ich brauche nur diesen Schalter zu drücken.“
„Du meinst diesen Fernzünder, den du da in der Hand hältst, der den ganzen Vulkan sprengt, wenn du drückst,“ sagte „Laurina“ deutlich, so dass ich es hören konnte. „Und mich in die Quelle zurückbefördert, um dir Zeit zu verschaffen, abzuhauen?“
Mithrelle ließ ein meckerndes Lachen hören. „Wenn ich auch nur die geringste CCE Konzentration an dir bemerke, ist mein Zeigefinger schneller, glaube mir. Ich verlange, dass du und deine Gefährten augenblicklich verschwinden, damit ich mein Ritual zu Ende bringen kann.“
Jetzt war der Moment gekommen. Ich war nur wenige Meter von ihr entfernt.
„Wie schnell ist dein Zeigefinger wenn ich ihn lähme?“ rief ich mit fester Stimme.
Mithrelle wirbelte herum. Ungläubig sah sie erst auf mich, dann wieder auf Citrelle, die wie eine exakte Kopie der Hüterin vor ihr stand. Und wieder zurück.
„Du du…“
„…Miststück,“ vollendete ich ihren Satz. In diesem Moment flog Barneys Beidhänder zischend durch die Luft und durchbohrte ihre Kehle. Gurgelnd ging sie zu Boden, der Fernzünder entglitt ihrer Hand. Mit einem Hechtsprung warf Yuffie sich nach vorn, ich sandte einen kurzen Lähmstrahl, um den Fall des Geräts zu verlangsamen: sicher landete es in Yuffies Hand.
Unser erleichtertes Aufatmen dürfte das letzte gewesen sein, was Mithrelles brechende Augen sahen.
—
Eine Tage später….
Es klopfte an meine Tür. „Komm rein, Citrelle“, rief ich.
Schüchtern betrat Citrelle mein weitläufiges Büro im 328. Stock des Phoenix Embers Tower. Durch die hohen Glaswände konnte man die Türme von Babylon sehen, ein Wolkenteppich breitete sich knapp unter uns aus.
„Hast du dich gut eingelebt?“ fragte ich sie und deutete auf einen der weißen Sessel meiner Besucher Sitzgruppe. Sie ließ sich zögern da hineinfallen. Ich sah sie an: sie hatte sich verändert.
Ihre vormals langen blonden Haare waren einem feschen Pagenschnitt gewichen. Statt ihrer aufreizenden bauchfreien Dirnenkleidung trug sie die Uniform eines Phoenix Embers Troopers. Sie schlug die Beine übereinander und faltete die Hände in ihrem Schoß.
„Wann kann ich denn nach Hyborien zurück, Grandmaster,“ fragte sie.
„Sobald du deine Ausbildung vollständig beendet hast,“ erwiderte ich und setzte mich in den gegenüberliegenden Sessel. Ich goss uns beiden aus einer Karaffe etwas Wein ein.
„Ich dachte, ich wäre schon soweit,“ brummte sie missmutig.
„Citrelle..“ anwortete ich lächelnd. „Du hast deine Grundausbildung bemerkenswert schnell absolviert, und wurdest vor der Zeit zum regulären Trooper befördert, aber es fehlen noch einige Spezialkurse in Diplomatie. Ich weiß, dass du darauf brennst, deinen Freunden zu helfen, die noch immer unter Stroms Knute zu leiden haben. Aber wir wollen sicher sein, dass du deine neue Position als Assistentin des Sektions Kommandanten auch ausfüllst. Du hast hervorragende Ideen, wie dein Einfall, dich von mir als Hüterin maskieren zu lassen, beweist. Damit haben wir Mithrelle vollkommen aus dem Konzept gebracht. Also zeig ein wenig Geduld. Wie geht es der Carbonidin?“
Citrelle nahm das Glas und nippte daran.
„Sie erinnert sich immer noch an nichts. Ihr Gedächtnis wurde restlos zerstört, und da sie hier keinen alten Core besitzt kannst du da ja auch wenig machen, Commander. Also nennen wir sie immer noch Jane Doe und versuchen ihr zu helfen, wo wir können. Barney hat sich aber gut eingelebt. Er trainiert jetzt eine Spezialabteilung in der Handhabung mittelalterlicher Waffen.“ Sie grinste dabei.
„Und gemeinsam trainiert ihr noch was anderes, hab ich gehört.“
Sie lachte schelmisch. „Ja, und dann wird das ja der erste Carbon-Simulacron Mischling dieser Welt.“ Dabei strich sie über ihr unverkennbares, kleines Bäuchlein. „Es wird übrigens ein Mädchen.“
„Habt ihr schon einen Namen?“ wollte ich wissen.
Ihr Lächeln wurde zu einem stillen Schmunzeln.
„Ja, haben wir. Sie wird Laurina heißen.“
„Na toll,“ antwortete ich. „Ich will gar nicht zählen, wie viele Laurinas es bereits gibt, seit den letzten Jahren.“
„Davon kann es gar nicht genug geben, “ konstatierte Citrelle. Ich widersprach ihr besser nicht.